Herrlich – Sonntag morgen und Frau Schneider wacht auf. Ein Blick auf den Wecker: 6:15! Ein Blick aus dem Fenster: strahlender Sonnenschein! Mit einem Wort der passende Motivationsschub für einen Morgenlauf. Also rein in die Laufschuhe und raus ins Freie. Die Luft ist noch angenehm kühl und Frau Schneider merkt, dass sie ihren Laufrhythmus findet. 1,2 – einatmen, ausatmen.
Cool! Und es geht noch – trotz der langen Laufabstinenz. Die ersten 200 Meter schafft sie ohne gröbere Beschwerden, sie überholt mit Leichtigkeit die ältere Dame mit ihrem Hund und grüßt diese
freundlich mit einem „Guten Morgen“. Und erntet einen erstaunten Blick. Grüßen am Morgen? In der Stadt? Wildfremde Leute? Geht gar nicht! Frau Schneider denkt sich nix dabei und läuft hochmotiviert in ihrem Tempo weiter. OK, es kann sein, dass eilende Fußgänger sie überholen würden, aber es Sonntagmorgen und es sind außer hundeäußerlführernde Menschen, Walker und Jogger keine Leute unterwegs. Weiter gehts, Richtung Steinhof, rund um die Mauer. Ah, da kommen die ersten Walker, ein älteres Paar. Wieder wünscht Frau Schneider einen guten Morgen – und erntet zuerst einen erstaunten Blick und dann ein gemurmeltes „gtnmg“ von der Frau. OK, das klingt wie eine Aufforderung zu einem Experiment. Frau Schneider beschließt ab sofort jedem, dem sie bei ihrer Laufrunde begegnet, mit einem Lächeln und einem geschmetterten „Guten Morgen“ zu begrüßen. Und da naht auch schon das nächste Opfer in Form eines männlichen Joggers. Aber noch ehe Frau Schneider etwas sagen kann, grüßt er sie. Oh super! Das ist aber nett – natürlich wünscht Frau Schneider auch einen schönen Tag und bedankt sich mit einem strahlenden Lächeln. Es gibt anscheinend doch noch freundliche Leute. Leicht und beschwingt läuft Frau Schneider in den Sommermorgen hinein. Bei der ersten Steigung ist Gehen angesagt, sie will sich doch nicht gleich bei der ersten körperlichen Betätigung überanstrengen.

Keine Menschenseele weit und breit, nicht einmal ein Hund lässt sich blicken. Aber dafür trällern und zwitschern die Vögel in den Bäumen und irgendwo hämmert ein Specht wie verrückt auf einen Baum ein. Der Himmel ist strahlend blau, die Luft rein und klar und ein Gefühl, beinahe wie Fliegen stellt sich ein. Schon ist der Eingang zu den Steinhofgründen erreicht. Hier wird sich das Gruß-Experiment sicher fortsetzen lassen, da ist Frau Schneider sich sicher. Also verfällt sie wieder in den gemächlichen Trabschritt. Und – Hurra, der nächste Läufer kommt in Sicht. Nein, Irrtum – es ist eine Läuferin. Auch sie trabt frohen Mutes in der frischen Morgenluft – und lächelt, als Frau Schneider sie grüßt. Dann läuft ein Pärchen vorbei – er grüßt laut und deutlich, sie schaut nur verbissen. Auch gut. Dann wieder eine Dame, die vorbeiläuft. Schon möchte Frau Schneider sie grüßen, aber diese starrt verbissen auf den Boden. Sie läuft so, als ob sie jeden Stein am Weg zertreten möchte, als wäre es eine schwere Pflicht, diesen herrlichen Morgen zu ertragen. Pfau – das ist dann selbst für Frau Schneider zu viel. Sie beschließt, sich auf den Weg nach Hause zu machen. Bergab läuft es sich eindeutig leichter als bergauf. Da tut sich der Radfahrer, der ihr auf dem Gehsteig entgegen schnauft, schon wesentlich schwerer. Ein letzter Versuch – Frau Schneider lächelt und grüßt. Und verursacht beinahe einen Unfall, so erschrocken ist der Fahrradfahrer.

Fazit: Manchmal kann man Menschen ganz schön überraschen, wenn man freundlich lächelt und grüßt. Manche Mitmenschen sind darüber erfreut, manchen ist es egal und manche stört man. Aber Frau Schneider hat es genossen. Und sie wird weiter laufen gehen, weiter lächeln und weiter grüßen. Also falls Sie einmal in den westlichen Bezirken Wien einer lächelnden, grüßenden Läuferin begegnen, dann könnte es sich um Frau Schneider handeln.