Frau Schneider hatte heute einen harten Tag – viel Denkarbeit, viel Neues schwirrte n ihrem Kopf herum. Zum Gedanken sortieren und auslüften macht sich Frau Schneider trotz Regen und einbrechender Dunkelheit auf zu einem kleinen Spaziergang. Nieselregen, fein und wie ein kühler Schleier, streichelt ihr Gesicht. Das Licht der Straßenlampen taucht die Gehsteige, Bäume und Gärten in ein seltsam unwirkliches, warmes Licht. Der Schatten von Frau Schneider läuft mit ihr mit: wenn sie sich einer Lampe nähert, ist er hinter ihr her, er ist gleichauf, wenn sie im Mittelpunkt des Lichtkegels ist und  läuft von ihr davon, je weiter sie sich von der strahlenden Helle entfernt. Bei der nächsten Lampe genau das gleiche Schauspiel: hinterher rennen, begleiten, davonlaufen. Das ist fast wie in einer Beziehung: zuerst läuft einer dem anderen nach, dann begleitet man ihn eine Zeit lang um zum Schluss davonzulaufen. Um es beim nächsten Mal genauso wieder zu machen.

Frau Schneider denkt nach und kommt ins Grübeln. Sind tatsächlich alle Beziehungen so? Nein, sicher nicht alle, aber viele. Tja, der Alltag ist ein Hund, wie man so schön sagt. Da sind dann all die Schmetterlinge, die man im Bauch hatte, ausgeflogen, überbleibt dann oft eine gähnende Leere. Manche Menschen füllen diese Leere damit, dass sie davon laufen – wie der Schatten – und glauben, dass es in der nächsten Beziehung anders ist. Immerhin sind ja auch wieder die Schmetterlinge da. Bis die eines Tages auch wieder davon fliegen. Und dann fängt das Spiel wieder von vorne an… Es gibt aber auch Menschen, die füllen den leeren Raum, den die Schmetterlinge hinterlassen haben, mit Gefühlen, Erlebnissen und Leben. Aber das ist halt Arbeit – und an Beziehungen zu arbeiten, das ist oft anstrengend.
Frau Schneider hat den Park erreicht und geht durch die Dunkelheit. Wie geheimnisvoll und seltsam unbekannt einem Dinge vorkommen können, wenn sie quasi der Realität entrückt sind und in einen nieselregnenden Herbstabend verpackt werden. Die Äste der Kastanien schauen aus wie Arme, die sich in den dunklen Himmel strecken, so als ob sie darauf warten, das eine noch unhörbare Musik anfängt zu spielen und sie mit ihrem Tanz beginnen können. mit ganz viel Phantasie – und die hat Frau Schneider zur Genüge – kann man diese unhörbare Musik dann doch hören. Keine Angst, Frau Schneider fällt nicht dem Wahnsinn anheim, aber diese ungewohnte Dunkelheit bringt ihre Phantasie ins Galoppieren.

Frau Schneider reißt sich los und spaziert weiter. Da – der Kinderspielplatz. Unter Tags belagert von Kindern unter der Beobachtung ihrer Mütter, Großmütter und vereinzelt auch unter der der Väter, liegt er nun verlassen und nieselnass da. Die Klettergerüste, die Schaukeln – in der Dunkelheit wirken sie fast surreal. Da entdeckt Frau Schneider die Gorillarutsche. Wie oft hat sie die Kinder beneidet, wenn sie mit Schwung von einem ans andere Ende „gefahren“ sind. Jetzt ist die Zeit, wieder zum Kind zu werden. Sicherheitshalber einmal links und rechts schauen, ob eh niemand beim ersten Versuch zusieht – nur falls was schief geht. Man will sich ja doch nicht lächerlich machen! Also rauf auf die Rampe, einen kurzen Anlauf und – wusch – rüber ans andere Ende. Fast wie fliegen ist das Gefühl. Hui macht das Spaß. Also nochmals retour, rauf auf die Rampe, ein kurzer Anlauf und wieder rüber ans andere Ende. Das Lachen innen drin wird immer größer und kommt beim dritten „Flug“ raus. So gehts ein paar Mal hin und her – und macht den Kopf von Frau Schneider endgültig wieder frei für neue Dinge. Begeistert von der neuen Kopffreiheit macht sie sich auf den Weg nach Hause. Sie hat für sich ein neues Mittel gegen den Festplattenoverflow im Kopf gefunden: ein paar Minuten einfach wieder Kind sein, mit Schaukeln, Wippen und Gorillarutsche fahren. Die guten Dinge im Leben sind doch wirklich die einfachen.